Social Seeds

Ein Thementag über Saatgut – warum?
Bereits im Frühjahr diesen Jahres war uns vom Seitentriebe-Team klar, dass wir wieder einen Workshop zur Saatgutgewinnung in einem der Gemeinschafsgärten anbieten wollen. Das eigene Saatgut anbauen zu können, seien es auch nur ein, zwei gut funktionierende Lieblingssorten, macht nicht nur Freude, sondern ist auch ein wichtiger Schritt in Richtung gärtnerischer Selbstbefähigung.
Doch mit einem praktischen Workshop zur Sortenvermehrung, Saatgutgewinnung und -Lagerung sollte es diesmal nicht genug sein. Zu wichtig schienen uns aktuelle Entwicklungen auf dem globalen Saatgutmarkt, um weiterhin hauptsächlich lokal und praktisch zu agieren. Unser Anliegen war es, über theoretische Zusammenhänge zu informieren und die Machtkonzentration auf dem Saatgutmarkt und die sich daran anschließenden Fragen an ökologische und soziale Nachhaltigkeit und globale Verteilungsgerechtigkeit zu thematisieren. Denn nur wenn wir gut informiert sind, können wir auch reflektiert handeln.
Längst untersagen zum Beispiel europäische Gesetze, namentlich das »Sortenschutzgesetz«, den Handel mit selbst vermehrten, bäuerlichen Sorten. Wir haben uns an die im Supermarkt erhältlichen wenigen Sorten, an bestimmte Formen, Farben und Geschmacksnoten gewöhnt. Was eine Tomate ist, wie eine Zucchini auszusehen hat entscheidet längst der Discounter. Warum ist das ein Problem? Neben dem Fehlen der nötigen agrarökologischen Vielfalt liegt eine wichtige Problematik in den konventionellen Sorten selbst. Ein Weißkohl der üblicherweise mit 300kg mineralischem Stickstoff pro ha gedünkt wird, wird im ökologischen Anbau nicht in der Lage sein, organischen Dünger sinnvoll zu verwerten. Trotzdem wird in die Erforschung und Weiterentwicklung von ökologischen »low-input-Sorten« kein Geld gesteckt.
Ein breiteres öffentliches Interesse an ökologischen Sorten könnte dies ändern. Das kommerziellen Sorten so selektiert werden, dass sie den Ansprüchen der Aggroindustrie genügen, fällt meistens erst dann auf, wenn Menschen versuchen den Anbau von Nutzpflanzen nachhaltig und selbstbestimmt anzugehen.
Im globalen Süden sieht das oftmals noch anders aus, hier wird das Verbot von bäuerlichen Sorten, das oft aggressiv exekutiert wird, für die Menschen sehr direkt und zur existentiellen Bedrohung. Die hohen Preise, die Saatgutunternehmen mit Monopolstellung für ihre Produkte verlangen, machen dort einen großen Teil der gesamten Anbaukosten aus und vergrößern das Risiko, Schulden anzuhäufen und das eigene Land zu verlieren. Der Anbau von global vermarktbaren Arten wie Reis, Mais und Weizen, sogenannten »Cash Crops« wird von internationalen Partnern gefördert, doch lokale Ernährungskulturen, nährstoffreiche regionale Kräuter und Gemüse werden dadurch verdrängt.
In Kooperation mit dem Golgi Park – Interkultureller Garten Hellerau haben wir deshalb zwei Referenten eingeladen, die für uns einen Blick auf globale Zusammenhänge geworfen haben.

Der Workshop
Zunächst kamen wir im Rahmen des Workshops in den Genuss von praktischem Wissen von der Samenbauerin Franziska Wenk von der Johannishöhe Tharandt. Sie vermehrt und erhält alte bäuerliche Sorten und verbessert diese durch traditionelle Linienzüchtung. Das eine robuste, wüchsige Bohnensorte auch zarte Hülsen und gut unverdauliche Fasern hat, ist längst nicht selbstverständlich. Eine Sorte als solche zu erhalten ist dennoch wichtig für den Erhalt der Vielfalt; Sorten sind nicht aus sich selbst heraus stabil, sie kreuzen sich mit anderen lokalen Sorten oder verändern sich durch Mutation. Ein bestimmtes Sortenbild erhält sich nur durch Selektion auf die es bestimmenden Eigenschaften stabil.
Will man beispielsweise das Verkreuzen von Möhrensorten verhindern, ist das Einhalten von Mindest-Abständen zwischen den Sorten unerlässlich. Auch das Vorkommen von Wilder Möhre im Garten kann die Sorte verfälschen. Die Pflanzenfamilien unserer Nutzpflanzen haben alle ihre biologischen Eigenarten, dessen Vermehrung unterschiedliche Anforderungen stellt. Kürbisse verkreuzen sich schnell mit ungenießbaren Unterarten, einige Kulturen wie Pastinake sorgen erst im zweiten Jahr für Nachwuchs.
Geeignet für die eigenen ersten Vermehrungsbemühungen sind Kulturen wie Tomaten und Bohnen. Auch bei der Gewinnung von Saatgut ist einiges zu beachten. Tomatensaatgut wird beispielsweise ein paar Tage vergoren, bevor es gewaschen und getrocknet wird. Leichte Hülsen und Schalen lassen sich leicht durch Siebe vom Saatgut trennen. Oft wird sorgfältig geschüttelt und gepustet. Gelagert wird Saatgut am besten trocken, dunkel und kühl und bleibt je nach Art unterschiedlich lange fruchtbar. Es lohnt sich auszuprobieren, genau hinzusehen und gutes zu vermehren.

Der Blick in den globalen Süden
Durch die Vorträge erweiterten wir unseren Horizont außerdem in Richtung Süden. Jan Urhahn von INKOTA-Netzwerk e.V. und Olaf von NoLagerBremen haben uns Zahlen, Bilder und Berichte mitgebracht, die uns Fragen lassen, was nutzen den Menschen im globalen Süden die angeblich so modernen, ertragreichen Sorten der globalen Aggroindustrie? Wie kann es sein, dass die große Mehrheit der laut FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) weltweit hungernden Menschen auf dem Land wohnen? Warum erzählt uns die internationale Gemeinschaft das Märchen von der zur erreichenden Nahrungsmittel-Produktionssteigerung durch hybride und genmanipulierte Sorten, wenn gegenwärtig nur 40% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Ernährung von Menschen dienen, aber 70% unsere Nahrungsmittel von Kleinbäuer*innen hergestellt werden? Geht es hier um die Bekämpfung von Hunger oder um die Erschließung von Märkten? Saatgut wird im globalen Süden vielerorts noch als »Commons« gesehen, also als Gemeingut gedacht, das geschenkt und getauscht und nur bei Überschüssen auf dem lokalen Markt angeboten wird. Regierungen werden deshalb massiv unter Druck gesetzt, die internationalen Sortenschutzgesetze, die das Verbot von unregistrierten bäuerlichen Sorten verbieten, ins nationale Recht zu übernehmen. Mittel für die landwirtschaftliche Entwicklung in vom Hunger betroffenen Ländern und Regionen werden oft nur nach Implementierung dieser Gesetze freigegeben. Und statt bestehende ländliche Strukturen zu unterstützen wird weiterhin die Infrastruktur privatisiert, Bäuer*innen enteignet, das Land an Großinvestoren verkauft und Subventionen so verteilt, dass der Bevölkerung der Zugang zu lokalen Märkten und regionalen Produktionsmitteln unmöglich gemacht wird.
Zum Glück, so zeigen uns die Referenten auf, können sich trotz widriger Umstände Kleinbäuer*innenbewegungen behaupten, die für das Recht auf das eigene, lokal angepasste Saatgut kämpfen. Diese lokalen Bewegungen steigern das Bewusstsein für die Rechte der Bäuer*innen an den Produktionsmitteln, dem eigenen freien Saatgut, was durchaus auch auf politische Entscheidungen ausstrahlt. Sie organisieren außerdem eigene Saatgutbanken und die demokratische Verteilung des Saatguts.

Wie können transnationale Initiativen diese Bewegungen unterstützen?
Oft braucht es nur ein Ticket für den Zug, eine Tankfüllig für den Motorroller, um sich organisieren zu können, um in Erfahrung zu bringen, dass das Nachbardorf ähnliche Probleme und wie das eigne Dorf das gemeinsame Anliegen unterstützen kann. Die Möglichkeit sich selbst zu ermächtigen ist oft an ganz existenzielle Rahmenbedingungen geknüpft.

Und was tun wir?
Hinterfragt die sogenannte Entwicklungspolitik eurer politischen Vertretung. Wer profitiert von transnationalen Entwicklungshilfen? Wie hilfreich sind die Maßnahmenkataloge zur Bekämpfung von Fluchtursachen wirklich? Oder fangt in eurer Stadt damit an, samenfeste Sorten im Geschäft nachzufragen, kauft Saatgut bei lokalen Vermehrer*innen, veranstaltet Samentauschbörsen und beginnt eure Lieblingstomate selbst zu vermehren.

Vielen Dank an Janina für die umfangreiche Orga dieses Tages und für den Bericht!
Dank an Gauthier Saillard für die schönen Bilder!

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